Nachhaltiges Bauen muss nicht teurer sein – im Gegenteil: Beispiele aus der Region Stuttgart zeigen, dass der sparsame Umgang mit Ressourcen helfen kann, die oft horrenden Kosten zu senken. Möglich wird dies durch modulare und serielle Bauweisen sowie durch den Einsatz recycelter Materialien oder regenerativer Baustoffe wie Holz und Stroh. Regenerative Energien von Photovoltaik bis Wärmerückgewinnung kommen hinzu und senken die Betriebskosen von Immobilien.
Neben der Digitalisierung und Vereinfachung des Bauprozesses, wie beim „Gebäudetyp E“, liegen aktuell große Hoffnungen auf seriellem und modularem Bauen, um die Baukosten insgesamt um bis zu 40 Prozent zu senken. Ein gutes Beispiel, das all diese Ansätze vereint, ist das „Zero“ in Stuttgart-Möhringen, das vor wenigen Wochen bezogen wurde. Das fünfgeschossige Bürogebäude bietet auf 14.200 Quadratmetern 400 Arbeitsplätze. Bauherr war die Sindelfinger EEW GmbH, die seit Jahrzehnten Objekte entwickelt und vermarktet. „Unser Ziel war es, möglichst nachhaltig zu bauen“, sagt Prokurist Patrick Schumann. Als Sohn des Inhabers waren die Chancen für den 27-jährigen Betriebswirt günstig, hier neue Maßstäbe zu setzen.
Dabei setzt das Projekt neben der seriellen Holzmodulbauweise auf einen hohen Autarkiegrad durch eine 170 KWp-PV-Anlage und einen Eisspeicher mit 400 Kubikmetern Wasservolumen. Die Haustechnik wurde verschlankt und nicht auf Spitzenlasten ausgelegt. „In unserer Kantine öffnen wir beispielsweise Türen und Fenster, wenn 200 Personen gleichzeitig essen, danach nur für 20 Minuten“, erklärt Schumann. Die Haustechnik wurde mit Prognosen für Wetterdaten simuliert, die bis 2045 reichen. „Das Projekt erforderte überzeugende Argumente bei Bankern, Steuerberatern und Anwälten, da die Immobilienbranche sehr konservativ ist.“
Solche Details sind typisch für das „einfache Bauen“, das Stefan Leupertz seit Jahren versucht rechtssicher zu gestalten, um Innovationen wieder zu ermöglichen und Kosten um bis zu 30, 40 Prozent zu senken. Bis 2012 war der habilitierte Jurist Richter am Bundesgerichtshof für Baurecht und ist seither Baukonfliktmanager. Zudem berät er Verbände bei der Deregulierung, um von Standards abweichen zu dürfen, wenn alle Beteiligten einverstanden sind: Investor, Bauherr, Käufer und Mieter.
Die Resultate solcher mutigen Schritte sind messbar: Das „Zero“, wo der Quadratmeter für 23 Eurovermietet wird, verbraucht nur 24 kWh Energie pro Quadratmeter und Jahr, im Vergleich zu dreimalhöheren Werten konventioneller Gebäude.
„Einfaches Bauen“ ist auch bei der Stuttgarter Drees & Sommer-Tochter EPEA ein Thema. Allerdings nimmt das Unternehmen, das der Chemiker Michael Braungart 1987 gegründet hat, um die lineare in eine kreislauffähige Wirtschaft zu transformieren, den gesamten Prozess des Bauens in den Blick. Vorbild des gebürtigen Schwäbisch Gmünders war die Natur mit ihrem Rhythmus aus Werden und Vergehen. EPEA-Geschäftsführer Marcel Özer formuliert es so:
Wir wollen weg von den Insellösungen und alle Prozesse und Aspekte miteinander vernetzen.
Bei den eigenen Bauprojekten von Dreso sowie bei Bauherren wie der Stadt Konstanz – derzeit etwa beim Neubau einer Berufsschule – greift die Nachhaltigkeitsstrategie der 45 EPEA-Fachleute. Geschäftsführer Marcel Özer betont:
Eine zentrale Kennziffer unserer Analysen ist der CO2-Wert.
Dieser wird über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg betrachtet – angefangen bei der Rohstoffgewinnung und der energieeffizienten Herstellung der Baustoffe und Komponenten, über die Planung und Umsetzung des Bauvorhabens, den Betrieb des Gebäudes, bis hin zu dessen Rückbau und der Wieder- oder Weiterverwendung der verwendeten Materialien.
Als Beratungsunternehmen unterstützt EPEA auch bei der Zertifizierung von Baustoff-Herstellern und deren Produkten für Nachhaltigkeit und moderiert softwarebasiert Branchenlösungen, die wiederum digital mit dem Baurecht oder Qualitätsnormen wie dem Siegel der DGNB abgeglichen werden können. Das kann man mit dem bewährten Pfandsystem der Getränkeindustrie vergleichen, deren Flaschen überall zurückgenommen und vergütet werden und die schließlich – auf Grund identischer Rezepturen – gemeinsam zu neuen Flaschen recycelt werden können. Das gleiche ist auch bei Fensterglas, Beschlägen oder Teppichen möglich, um hochwertige Rohstoffe im Kreislauf zu halten.
Mehr noch: In den Benelux-Staaten bleiben bei neu gebauten Hotels oder Universitäten Fassaden oder Teppiche teils im Besitz des Herstellers, der vom Gebäudebetreiber hierfür eine fixe Honorierung pro Monat bekommt. So bleibt beim Lieferanten der Anreiz, nicht die günstigste Lösung anzubieten, sondern die für ihn profitabelste. Das kann heißen, dass zum Beispiel Teppiche nicht verklebt, sondern per Klettverschluss fixiert werden, um die Textilfasern später wieder verwenden zu können. Oder an Treppenabsätzen und vor Aufzügen besonders robustes Material zu verwenden, um die Haltbarkeit zu erhöhen. Oder nur wenige Quadratmeter auszutauschen, statt der gesamten Fläche.
Gemeinsam mit der digitalen Materialdatenbank Madaster arbeitet Özer auch daran, die Substanz von Gebäuden zu erfassen und zu ermitteln, wann diese sinnvollerweise rückgebaut werden sollen. Die Baubeteiligten erfahren dadurch beispielsweise, wann wo wieviel mineralischer Wertstoff, gebrauchte Fliesen oder Fenster verfügbar werden und können diese bei einem Neu- oder Umbau einplanen. In Tübingen und München erfolgen aktuell Rückbauten, etwa auf ehemaligen Kasernenarealen. Just intime wird dort Material neu aufbereitet und zur Abholung zwischengelagert.
Das spart Kosten in der Logistik, in der Entsorgung und ist in diesen Fällen sogar wirtschaftlicher als der herkömmliche, bisherige Entsorgungsweg.
Die kreislauforientierte Neugestaltung der Stoffströme aus Rückbau und Sanierung wird zu einemzentralen Baustein der zukünftigen Bauwirtschaft. Dabei werden sogenannte Sekundärrohstoffzentren eine Schlüsselrolle spielen – sie sollten bundesweit flächendeckend und interdisziplinär organisiert werden. Visionär Marcel Özer sieht darin enormes Potenzial:
Hier entstehen völlig neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze.
In Offenbach gibt es bereits eine Netzwerkinitiative mehrerer Unternehmen, zum Thema Urban Mining. Parallel dazu wandeln sich klassische Abbruchunternehmen zunehmend zu Sekundärrohstoffhändlern und verabschieden sich von ihrem früheren „Schmuddel-Image“. Der Flächenbedarf solcher Hubs hängt maßgeblich vom Stoffstrommanagement und der jeweiligen Nutzung ab.
Hier geht's zum gesamten Artikel der Ausgabe September/Oktober 2025 vom magazin wirtschaft.
Autor: Leonhard Fromm